Interview zum Tag der Pflege 2025

Oft wird über die Pflege geredet statt mit ihr: schlechte Bezahlung, miese Arbeitszeiten, wenig Anerkennung. Ist das wirklich so? Wir haben uns mit zwei examinierten Pflegekräfte mit unterschiedlichem Hintergrund getroffen und gefragt, was sie dazu meinen.
Wir haben mal nachgefragt und bedanken uns herzlich bei:
Luisa Tenten (28) hat 2022 ihre dreijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin im Lukaskrankenhaus abgeschlossen. Seit dem 1. März ist sie stellvertretende Leitung der internistischen Station M4 des Hauses an der Neusser Preußenstraße.
Holger Baldus (66) geht in wenigen Wochen in den Ruhestand – nach 40 Jahren in der Pflege. Gelernt hat er 1985 im Krankenhaus Dormagen, damals war er einer von 320 Bewerbern auf 22 Ausbildungsplätze. Nach 20 Jahren als Leitung der internistischen Station, arbeitet er seit 2016 der orthopädisch/geriatrischen Station.
Also, sagen Sie mal…
Warum haben Sie sich für den Beruf entschieden?
Luisa Tenten Mit 16 habe ich ein Jahrespraktikum im Lukaskrankenhaus gemacht und dabei viel Spaß und Freude gehabt. Als ich mich dann nochmal beruflich anders orientiert habe, habe ich schnell gemerkt, dass mir der Patienten-Kontakt gefehlt hat. Ich bin ein empathischer Mensch. Es gibt mir viel, wenn ich anderen helfen und ihnen beispielsweise die Angst nehmen kann. Und wenn man den Patienten fröhlich gegenübertritt, wirkt sich das positiv auf deren Genesung aus.
Holger Baldus Bei mir war es unromantischer. Ich hatte ein Biologie-Studium begonnen, das mir aber zu wissenschaftlich war, zu weit weg von den Menschen. Zur Pflege bin ich dann per Zufall über einen Freund gekommen – und habe mich regelrecht befreit gefühlt. Ich persönlich finde den Pflegeberuf gar nicht so belastend, wie er häufig dargestellt wird. Ich habe auch immer gerne im Schichtdienst gearbeitet, mal früh, mal spät.
Luisa Ja, das ist toll, das liebe ich. Da kann man auch mal richtig ausschlafen.
Was sind besondere Herausforderungen im Arbeitsalltag?
Holger Der Beruf kann die Sicht aufs Leben verändern und damit auch einen selbst, weil man es mit vielen Leiden zu tun hat, die man normalerweise nicht sieht. Das birgt die Gefahr, dass man nur noch Krankheit wahrnimmt. Ich mache mir oft Gedanken, dass meinen Angehörigen etwas zustoßen könnte. Das hätte ich so nicht erwartet.
Luisa Das macht mich auf der anderen Seite dankbarer und lebensfroher. Ich genieße mehr, was ich habe. Der Dienst verlangt einem körperlich und kognitiv viel ab. Dadurch gleicht sich die Belastung aber auch aus.
Wie geht man mit dem Leid um, das einem begegnet?
Luisa Wir reden im Team darüber, bauen uns gegenseitig auf. In besonderen Fällen würde auch jemand von extern kommen, um das mit uns aufzuarbeiten.
Holger Ja, im Team darüber zu reden, ist auf jeden Fall wichtig.
Wirkt sich das aufs Private aus?
Luisa Wenn mich etwas sehr beschäftigt, tausche ich mich schon mit meinem Freund und meiner Familie aus. Diesen Rückhalt zu haben, tut unfassbar gut.
Holger Meine Frau hat ja auch viele Jahre als Stationsleitung in der Pflege gearbeitet. Auf dem gemeinsamen Heimweg haben wir uns eine räumliche Grenze gesetzt, bis wohin der Beruf Thema sein durfte.
Was sind schöne Momente Eures Berufslebens?
Luisa Wenn mir Patienten ihre Dankbarkeit ausdrücken. Das müssen sie nicht mal mit Worten machen. Da reicht ein Blick, ein Lächeln, ein Händedruck.
Holger Natürlich ist es dramatisch, wenn man dazu beitragen konnte, einen medizinischen Notfall zu verhindern. Aber mich berühren besonders die Rückmeldungen von Angehörigen, die sich Jahre später noch an mich erinnern. Oder Begegnungen mit heutigen Hausärzten, denen ich bei ihrem Praktikum vor zwanzig Jahren vielleicht gezeigt habe, wie man Blutdruck misst.
Wie ist die Zusammenarbeit im altersgemischten Team?
Holger Das ist toll, sofern man an der jeweils anderen Generation ehrlich interessiert ist.
Luisa Man kann viel voneinander lernen und tauscht sich aus. Ich finde es interessant zu erfahren, wie früher der Standard war, wie beispielsweise eine Dekubitus-Prophylaxe aussah.
Holger Manchmal kokettieren Kollegen meiner Generation damit, dass wir eine Sechs-Tage-Woche hatten, sogar krank zur Arbeit gekommen sind und viel weniger Gehalt bekommen haben als heute. Dann wird schon mal der Vorwurf erhoben, die Jungen wären faul. Ich sage: Nee, die sind klug, wenn sie sich nicht kaputt machen wollen.
Luisa Diese Vorwürfe kenne ich von meinem Team nicht, wohl habe ich das bei der Rotation während der Ausbildung mal mitbekommen. Aber da habe ich mich nicht angesprochen gefühlt, weil ich meine Arbeit gewissenhaft und gut erledigt habe.
Holger Ich habe unseren schönen Beruf vierzig Jahre lang mitgestaltet – und es hat sich wirklich eine Menge getan. Jetzt gebe ich den Staffelstab sehr gerne weiter. Und ich vertraue auf Eure Generation, dass Ihr das weiterentwickelt.
Gibt es Probleme, wenn Sie als junge Frau älteren Kollegen Anweisungen geben?
Luisa Einige meiner älteren Kolleginnen und Kollegen haben mich kennengelernt, als ich 2013 mein Praktikum fürs Fachabitur gemacht habe. Aber bislang war das nie ein Problem.
Holger Das Alter finde ich bei der Zusammenarbeit auch uninteressant, viel wichtiger ist das Können und die Frage: Respektiert man sich gegenseitig? Ich glaube, Du wirst das prima machen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit den anderen Berufsgruppen, beispielsweise mit dem ärztlichen Dienst? Wird man als Partner ernstgenommen?
Luisa Ich empfinde das schon so, dass die Ärztinnen und Ärzte und wir Hand in Hand arbeiten und einander helfen. Die Kommunikation ist wunderbar. Wir sind ja auch irgendwie Bindeglied zwischen Arzt und Patient.
Holger Das hat sich natürlich in vierzig Jahren geändert. Wenn ich als junger Pfleger mehr zu einer Diagnose wissen wollte, fragte mich ein Arzt: „Warum interessiert Dich das?“ Heute fragt mich ein Arzt eher: „Was denkst Du darüber?“
Wie lassen sich mehr Menschen für den Pflegeberuf gewinnen?
Holger Vor allem müssen wir selbst damit aufhören, unseren Berufsstand schlecht zu machen. In der öffentlichen Darstellung, besonders während der Corona-Pandemie, kam immer rüber: Die sind blöd, dass sie arbeiten, bis sie ein Burnout haben, und nichts verdienen. Da soll dann jemand sagen: „Prima, das will ich machen“?
Luisa Viele wissen ja auch gar nicht, was die Pflege alles macht.
Holger Das stimmt. Es variiert ja auch von Haus zu Haus und sogar von Station zu Station. Und jeder kann seine Stärken und Interessen ins Team einbringen, ob das nun Dokumentation, der Umgang mit Schülern und neuen Kollegen, medizinisches Wissen oder Systematik und Ordnung ist. Das Wichtigste ist der Respekt voreinander.
Luisa Während meiner Ausbildung habe ich auch manchmal gehört: „Ja, jetzt bist Du noch motiviert und empathisch. Warte mal ab, wie das in zehn Jahren aussieht. Da bist Du abgestumpft.“ Das kann ich mir, ehrlich gesagt, gar nicht vorstellen.
Holger Ich verrate Dir mal was: Das stimmt nicht. Ich bin jedenfalls nicht abgestumpft und mache meinen Beruf immer noch mit Begeisterung. Wenn ich in sechs Wochen in Rente gehe, freue ich mich, dass ich mehr Zeit für meine vielen anderen Interessen habe – aber nicht, dass ich endlich aus dem Berufsleben ausscheide.
Bedeutet Ihnen der „Tag der Pflege“ etwas? Kann so ein Gedenktag eine Hilfe sein, Aufmerksamkeit schaffen?
Luisa Ich finde das schön, es gibt ja für alles Mögliche einen bestimmten Tag. Es drückt eine gewisse Wertschätzung aus.
Holger Es ist eine Gelegenheit, den Pflegeberuf ins Rampenlicht zu rücken. Aber eigentlich brauchen wir unseren Beruf nicht gut zu reden. Wir sollten ihn nur nicht schlechtmachen. Wer einmal reinschnuppert, merkt schnell, wie schön der Pflegeberuf ist.